Berlin. Die Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte, die die Bundesregierung aktuell beschloss, stößt beim Handelsverband Deutschland (HDE) auf Unverständnis. Dasselbe gilt für den Bundesverband der Systemgastronomie (BdS), die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) sowie für den Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE). Darüber hinaus sehen die IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, der Markenverband und der Industrieverband Papier- und Folienverpackung (IPV) den Beschluss kritisch.
Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte: Hersteller übernehmen die Reinigungskosten für die entsprechenden Abfälle im öffentlichen Raum
Laut Beschluss sollen Hersteller von bestimmten Einweg-Kunststoffprodukten dadurch Abgaben in einen staatlichen Fonds einzahlen. Sie übernehmen somit die Reinigungskosten für die entsprechenden Abfälle im öffentlichen Raum. Die Position der Verbände dazu: „Der Vorschlag einer Sonderabgabe kommt zur Unzeit, weil die deutsche Wirtschaft vollständig damit ausgelastet ist, den Betrieb trotz explodierender Energiepreise aufrecht zu erhalten und damit für den Erhalt von hunderttausenden von hochbezahlten Arbeitsplätzen zu sorgen.“ Die Entscheidung widerspreche zudem dem am 29. September 2022 von der Bundesregierung beschlossenen „Belastungsmoratorium“ zur Vermeidung unverhältnismäßiger Bürokratie in der aktuellen Krise. Er sollte daher zurückgestellt oder zumindest so bürokratiearm wie möglich ausgestaltet werden.
Eigen-Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte: Sieben Wirtschaftsverbände legten im März 2021 einen detaillierten Vorschlag vor
Kritisiert wird nicht nur der Zeitpunkt des Vorschlags, sondern außerdem dessen Inhalt. Um bei der Umsetzung der EU-Vorgaben unnötige Bürokratiekosten für Unternehmen zu vermeiden, hatten sieben Wirtschaftsverbände bereits im März 2021 einen detaillierten Vorschlag für eine privatwirtschaftliche Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung vorgelegt. „Unser Vorschlag hat gegenüber dem aktuellen Gesetzentwurf den Vorteil, dass er die Unternehmen erheblich weniger belastet. Er legt dirt die Umsetzung – wie in anderen EU-Mitgliedstaaten auch – in die Hände der betroffenen Wirtschaftsbranchen“, erläutert Antje Gerstein, Geschäftsführerin des Handelsverband Deutschland HDE e.V.. Anders als bei der geplanten Sonderabgabe seien im privatwirtschaftlichen Modell keine neuen 30 Planstellen im Umweltbundesamt (UBA) erforderlich. Es müssten zudem keine Doppelstrukturen geschaffen werden, weil die Registrierung zum Großteil auf die bereits vorhandenen Daten der Zentrale Stelle Verpackungsregister aufbauen könnte.
Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte: Die EU-Regel sieht bei den umzulegenden Kosten eine Regelung »zwischen den betroffenen Akteuren« vor
Wenig Verständnis haben die Wirtschaftsvertreter außerdem dafür, dass Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt (UBA) zentrale Rollen bei der Umsetzung des Gesetzes spielen wollen. „Die EU-Regeln sehen vor, dass die umzulegenden Kosten »zwischen den betroffenen Akteuren« festgelegt werden. Das heißt damit zwischen Wirtschaft und Kommunen“, erklärt Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. „Nach dem aktuellen Vorschlag legt dagegen allein das Umweltministerium die Kosten fest. Das UBA soll zudem festlegen können, wer wofür zahlen soll. Das hat nichts mehr mit dem Prinzip der Herstellerverantwortung zu tun“, kritisiert Engelmann.
Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte: Einzurichtende Einweg-Kunststoff-Kommission bedarf mehr Entscheidungsbefugnisse
Die im Gesetzentwurf vorgesehene sog. Einweg-Kunststoff-Kommission halten die Verbände für zu schwach, um die Stimme der Wirtschaft wirksam zu vertreten. „Laut Kabinettsbeschluss soll die Kommission lediglich eine beratende Funktion bei der Festsetzung der Abgabensätze haben. Das ist eindeutig zu wenig. Eine 1:1-Umsetzung erfordert eine Kommission mit echten Entscheidungsbefugnissen“, fordert zudem Dr. Andreas Gayk, Geschäftsführer des Markenverband e.V. Um die geplante Besetzung der Kommission gibt es zudem Streit. „Umwelt- und Verbraucherverbände sind keine »betroffenen Akteure« entsprechend den EU-Vorgaben. Stimmberechtigte Mitglieder der Kommission dürfen daher nur Vertreter der betroffenen Wirtschaft und Kommunen in paritätischer Besetzung sein. Nur so gelingt ein hohes Maß an Akzeptanz bei den Betroffenen“, erklärt dazu Gayk.
Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte: BVTE fordert Abgaben nach Gewicht
Unklar ist derzeit noch, wie hoch die Sonderabgabe ausfällt. „Es ist – gerade in diesen Zeiten – inakzeptabel, dass aus dem Gesetzentwurf nicht hervorgeht, in welcher Höhe Wirtschaft und Verbraucher belastetet werden sollen“, erklärt dazu Jan Mücke, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse e.V. (BVTE). Die noch ausstehende Ermittlung der umzulegenden Kosten dürfe allein auf Basis des Gewichts erfolgen. Vorschlägen, zusätzlich auch die Stückzahl und das Volumen mit zu berücksichtigen, erteilt er deshalb eine Absage. „Die Ausweitung auf andere Kostenparameter außer Gewicht ist nicht praxisgerecht. Sie würde zu einer massiven Überdeckung der tatsächlichen Kosten der Kommunen führen. Der Kostenanteil muss in einem konkreten Verhältnis zu den Abfallmengen stehen. Daher halten wir Beträge, die über den gewichtsmäßigen Anteil von 175 Millionen Euro pro Jahr hinausgehen, für nicht gerechtfertigt“, stellt Mücke fest.
Sonderabgabe auf Einweg-Kunststoffprodukte: Vorschlag belegt auch bepfandete Flaschen mit einer Abgabe
In Kritik steht schließlich eine fehlende Ausnahme für pfandpflichtige Einweg-Getränkeflaschen. „In Deutschland sorgt ein effektives Pfandsystem dafür, dass die Gefahr der Vermüllung durch Getränkeflaschen aus Kunststoff stark reduziert wird. Gleichwohl belegt der Vorschlag auch bepfandete Flaschen mit einer Sonderabgabe“, kritisiert Peter Feller, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE). Zwar sei es ein Schritt in die richtige Richtung, dass der Vorschlag unterschiedliche Abgabensätze für pfandpflichtige und nicht-bepfandete Flaschen vorsehe. „Das genügt jedoch nicht: Für Hersteller von bepfandeten Getränkeflaschen bedeuten die Registrierung, Meldung und Abwicklung einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Dieser Aufwand steht völlig außer Verhältnis zu der angedachten sehr niedrigen Abgabenhöhe“, kritisiert Feller. Er fordert dagegen eine Bagatellgrenze, wonach Produkte, die weniger als 1 Prozent des Abfall- und Müll-Aufkommens ausmachen, von den Vorgaben ausgenommen sind.
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