Frankfurt. Der Industrieverband Körperpflege Waschmittel lud JournalistInnen und Beauty-Blogger im März 2018 zum Round-Table-Gespräch zur Macht der Selfies ein: Ines Imdahl, Psychologin und Geschäftsführerin der Kölner Agentur Lönneker@Imdahl/Rheingold Salon, entführte damit in die »Selfie-Welt« der Jugendlichen.
Die Macht der Selfies: Diese Kultur gehört heute zum Erwachsenwerden wie früher Rockmusik und Pumphosen
Sie präsentierte dabei verblüffende Erkenntnisse aus der aktuellen Studie des IKW. Nein, Selfies machen ist kein Hobby. Es geschieht auch nicht »mal so nebenbei«, wie wohl die meisten der ZuhörerInnen es vermuteten. Die »Selfie-Kultur« gehört damit zum Erwachsenwerden dazu wie früher Rockmusik und Pumphosen. Imdahl: „Allerdings gibt das heute kaum eine oder einer gerne zu. Irgendwie zeugt es schließlich auch von großer Selbstverliebtheit und geringem Selbstwertgefühl. Es bedeutet zudem Mitschwimmen in der Masse, von der sich die Heranwachsenden eigentlich abgrenzen möchten.“
Die Macht der Selfies: Zwischen Anpassung und Abgrenzung
Überhaupt spielt das Schwanken zwischen Abgrenzung und Anpassung eine zentrale Rolle in der Pubertät. Jugendliche wollen mit der Zeit gehen, mitmachen, und trotzdem nicht eine/einer von vielen sein. Also entwickeln sie einen eigenen Selfie-Stil nach dem Motto »Alle machen Selfies, aber meine sind speziell, denn sie tragen meine Handschrift«. Dafür betreiben sie oft immensen Aufwand. Nichts wird dem Zufall überlassen: Mädchen hübschen sich auf. Etwa mit Make-up und Haar-Styling. Jungs trainieren wiederum vorher für definierte Muskeln.
Posing, Beleuchtung, Hintergrund, Aufnahmeperspektive – alles muss zudem stimmen. Was das aktuell genau heißt, wissen nur die Jugendlichen selbst. Die Selfie-Codes sind nämlich ständig im Wandel. Waren gerade noch Kussmund und Haarsträhne auf der Oberlippe als Bartersatz »in«, soll der Gesichtsausdruck jetzt möglichst natürlich sein.
Die Macht der Selfies: Ich habe »Likes«, also bin ich
Authentizität ist damit das Gebot der Stunde, auch wenn diese inszeniert wird. Wer diesen Trend fehlinterpretiert und quasi nackt – ohne Schminke – vor die Kamera tritt, läuft Gefahr, als »krank« eingestuft zu werden. Das führt dann zu schlimmen Einbußen bei den »Likes«. Wer will das schon riskieren? Ist doch die Anzahl der »Likes« und »Follower« auf Instagram und Facebook die Währung für den Selbstwert. Ohne »Likes« – also die messbare Anerkennung durch Andere – wird man schlicht übersehen. Das ist paradoxerweise – aus der Sicht der Befragten – nicht wichtig. Dabei will jedoch jeder Dritte Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren genau das Gegenteil. Er/Sie nämlich berühmt werden!
Die Macht der Selfies: Erlebt wird später
Noch ein anderes Motiv für den Selfie-Hype überraschte. „Mit Selfies lässt sich das eigene, emotional und geistig oft aus den Fugen geratene Ich, wieder einfangen und damit das eigene Erleben vermeintlich »kontrollieren«“, betonte die studierte Psychologin. In dem die Teenager Erlebtes mit einem Selfie dokumentieren, entziehen sie sich der Situation im Jetzt. Sie können diese aber im Nachhinein so emotional bespielen, wie es ihrer Idealvorstellung entspricht. Durch das Erleben aus der Rückschau kontrollieren sie damit die Erinnerung daran. Das Gefühl, die Dinge steuern zu können, ist ihnen enorm wichtig in einer Zeit, in der auf körperlicher, familiärer und gesellschaftlicher Ebene vieles unkontrollierbar wird.
Die Macht der Selfies: Konstruierte Wirklichkeit statt »Real life«
Selfies dienen der Selbstfindung und Selbstversicherung. Sie bieten damit die Chance, dem persönlichen Wunschbild näher zu kommen, Makel und Mängel auszublenden, und sich den eigenen Gefühlen und anderen Menschen kontrolliert zu nähern. Bleibt zu hoffen, dass der Handy-Akku nicht zur Unzeit versagt und man »on« sein kann, wenn es wirklich brennt unter den frisch lackierten Nägeln …
Genaue Zahlen und Fakten der Jugendstudie »Selfies ungeschminkt« unter www.ikw-jugendstudie.org
[Text/Bild: IKW]